Es war wohl irgendwann im März 1993, als so beiläufig in der Presse berichtet wurde, dass der Landkreis Unterallgäu einen Standort für eine neue Kreismülldeponie sucht. Zu dieser Zeit wurde der gesamte Müll des Landkreises in Breitenbrunn deponiert. Die Deponie in Breitenbrunn hatte nach der damaligen Einschätzung noch Kapazitäten bis 1998.
Der Auftrag für das Standortgutachten wurde vom Kreistag bereits im Februar 1992 erteilt. Stillheimlich, Müll war und ist kein Thema, mit dem gut Politik zu machen ist.
Als das Gutachten dem Kreistag vorgestellt wurde und damit in die Zeitung kam, hatte sich der Gutachter auf vier mögliche Standorte im Landkreis festgelegt. Einer davon war auch Katzenhirn.
Katzenhirn, das machte einige Kirchdorfer hellhörig.
Nach einer Informationsveranstaltung wurden mehr Details bekannt und einigen war klar, dass die Situation äußerst ernst war.
Die wesentlichen Zielvorgaben für den neuen Deponiestandort waren:
Bedingt durch diese massiven Vorgaben kamen nur wenige Flächen im Landkreis überhaupt in Frage. Zudem sollte die neue Deponie in einen großflächigen Wald, verborgen vor den Blicken der Allgemeinheit.
Wir konnten nicht verstehen, wieso die Deponie derart überdimensioniert geplant wurde. Schon damals war die Verbrennung des Mülls durch die TA Siedlungsabfall vorgeschrieben. Selbst im Gutachten wird auf diesen Umstand verwiesen.
Im Jahr 2017 wurden rund 2.000 Tonnen in Breitenbrunn deponiert, keine 55.000 t, wie im Gutachten zu Grunde gelegt.
Aber das Gutachten stand und der Kreistag drängte zur Entscheidung. Die heiße Phase begann im Mai 1993. Anfang des Monats waren es nur ein paar Kirchdorfer, die sich immer wieder trafen um sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nichts desto trotz machten wir schon kräftig Dampf.
Das Thema war hochaktuell.
Diese Zeitungsberichte stammen aus einer Woche und es sind bei weitem noch nicht alle.
Wir hatten uns zwischenzeitlich die Pläne besorgt. Die Planung sah die Deponie bei Kirchdorf auf einem Gebiet mit über 20 ha im Wald zwischen B18 und Autobahn vor. Entfernung zum Ortsrand ca. ein Kilometer.
Wir waren uns einig: Wir müssen was dagegen tun, wir müssen uns organisieren. Ein erstes Protestplakat war zu sehen
In einem Brief an Landrat Dr. Haisch bemängelten wir unter anderem, dass der Standort immer noch Katzenhirn genannt wurde, obwohl er komplett auf Kirchdorfer Flur liegt. Auch andere Faktoren wiesen darauf hin, dass hier bewusste Täuschung betrieben wurde. In einem Gespräch bestätigte auch Bgm. Möckel, dass die Deponie den Wörishofnern aufs Auge gedrückt werden soll. Das war die eindeutige Stimmungslage bei den Kreisräten.
Objektiv betrachtet gab es einige Argumente, die für
Kirchdorf als Standort sprachen:
– die gesamte Fläche gehörte nur wenigen Eigentümern. Bei den anderen
Standorten waren es oft mehr als zwanzig Grundbesitzer.
– Kirchdorf war durch B18, geplante Autobahn, Bauschuttdeponie und Kläranlage
stark vorbelastet
– Ein wichtiges Argument war auch immer wieder der Müllschwerpunkt. Also wo der
meiste Müll entsteht. Das wurde eindeutig Bad Wörishofen zugeschrieben, gefolgt
von Mindelheim. Somit sollte die Deponie dorthin und nicht in den westlichen
oder nördlichen Landkreis.
Am 24. Mai 1993 gründeten wir also die Bürgerinitiative. Von Anfang an war klar, dass wir nicht nur als Nein-Sager gegen die Deponie antreten wollten. Wir haben uns den Umweltschutz im regionalen Umfeld zum Ziel gesetzt. Themen dazu gab es damals schon reichlich. Und wir firmierten auch um. Aus der Initiative ‚Mülldepo NIE‘ wurde die Bürgerinitiative UMWELT. Anfangs traten wir hauptsächlich durch Schreiben an die Politiker, Pressemitteilungen und Leserbriefe in Erscheinung.
Aber das war zu wenig. Um mehr bewegen zu können braucht man in erster Linie Geld. Also wandten wir uns schriftlich an die Kirchdorfer und Wörishofer Unternehmer. Die Unterstützung und Solidarität war überwältigend. Nun konnten wir so richtig aktiv werden.
Wir organisierten ein Protestmarsch mit den Kirchdorfer Kindern. Um deren Zukunft kämpften wir ja letztlich.
Wir erstellten Protestplakate. Anfangs mühevoll mit Pinsel und Farbe. Das Ergebnis konnte sich aber trotzdem sehen lassen.
Diese Tafeln platzierten wir an der B18, entlang dem geplanten Deponiestandort. Die Resonanz war erstaunlich und der Landrat überhaupt nicht begeistert.
Aber damit nicht genug. Alle Maßnahmen aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Einige Punktewollen wir trotzdem wieder in Erinnerung rufen.
- Wir zweifelten immer wieder die Notwendigkeit und vor allem die Größe der Maßnahme an. Wie man nach 25 Jahren sieht, sollten wir damit Recht behalten.
- Um ein Klagerecht zu erhalten wurde uns vom Eigentümer ein kleiner Streifen Wald mitten im Deponiegelände übertragen,
- Wir wollten wissen, wieso der Mindelheimer Stadtwald als Standort ausgeschlossen wurde.
Die Argumente waren schlichtweg grotesk. Es waren unter anderem die Blümchen. Die mussten herhalten, damit der Mindelheimer Stadtwald ausgeschlossen werden konnte. Selbst vor ach so „seltenen Pflanzen“ wie dem Maiglöckchen und der Akelei schreckte der Gutachter nicht zurück. Pflanzen, die an den anderen Standorten genauso vorkamen.
Letztlichen brachten unsere Gegenargumente die Glaubwürdigkeit des Gutachters, zumindest bei diesem Punkt, stark ins Wanken. Geändert hat sich dadurch nichts.
Unsere stärkste Waffe war das Prädikat Heilbad und das Kurwesen Bad Wörishofens. Sowohl der Hotel- und Gaststättenverband als auch das Innenministerium zweifelten an, ob dieses Argument bei der Standortauswahl ausreichend berücksichtigt wurde.
An diesem Thema zerbrach letztlich die Solidarität mit den anderen Bürgerinitiativen. Die sahen ihre Felle davon schwimmen und vereinigten sich gegen uns.
Wir wurden den anderen auch zu mächtig. Durch intensive Mitgliederwerbung konnten wir unsere Position weiter festigen.
Wir verteilten Flugblätter, hängten jede Menge Plakate auf und warben unter anderem auf dem Stadtfest mit einem Stand um Mitglieder. Wir verteilten in vielen Geschäften unsere Mitgliedsanträge in eigens gefertigten Sammelboxen. Und waren mit unserem genialen Logo auf zahlreichen Fahrzeugen präsent.
Der Erfolg blieb nicht aus. Nach vier intensiven Monaten war die Mitgliederzahl von 35 auf 630 angewachsen. Später schafften wir sogar die Tausender Marke.
Die Solidarität war überwältigend und so konnten wir uns trotz zahlreicher Rückschläge motivieren, fast jeden Abend die Köpfe zusammenzustecken und über neue Maßnahmen nachzudenken.
Trotz allen Einsatzes gingen uns langsam die Argumente und auch das Geld aus. Also wurden wir bei der Stadt vorstellig und erhielten die volle Unterstützung des Stadtrats und des Bürgermeisters. So konnten wir den Geologen Dr. Heimbucher mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen. Nach dessen Bodenuntersuchungen gab es zwar Zweifel an der geologischen Tauglichkeit des Standorts bei Kirchdorf. Ein klares Ausschlusskriterium konnte Dr. Heimbucher nicht feststellen. Für uns war die potentielle Gefährdung der Ramminger Trinkwasserversorgung durch die Deponie allerdings schon ein kräftiges Argument. Für die Entscheider eher ein Kollateralschaden.
Die Stadt schaltete dann noch einen weiteren Gutachter zur Untersuchung der rechtlichen Situation und in der Folge ein Anwaltsbüro ein.
Zwischenzeitlich war es unausweichlich, dass auch der Müll aus dem Unterallgäu verbrannt werden muss und so ging der Landkreis Unterallgäu mit Neu-Ulm die sogenannte Müllehe ein. Die Verbrennung erfolgt in Neu-Ulm, die Ablagerung der Schlacke im Unterallgäu.
Das Projekt Deponiesuche verlor etwas an Dynamik, war aber bei weitem noch nicht vom Tisch.
Im Juli 1994 war die Autobahn fertiggestellt und wurde feierlich eingeweiht. Zu dieser Feier war die gesamte Politikprominenz geladen, allen voran der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber. Der sollte in einem Konvoi den Autobahnabschnitt abfahren.
Diese Chance wollten wir uns nicht entgehen lassen, fertigten eigens dafür neue Plakate und befestigten diese an den Autobahnbrücken. Da hatte aber die Polizei was dagegen und wir mussten die Plakate wieder entfernen. Kurzerhand entschlossen wir uns zu der mobilen Plakatwand.
Und brachten diese so kurzfristig an, dass die Polizei nicht mehr einschreiten konnte. Der Erfolg war unser.
Beim anschließenden Besuch des Ministerpräsidenten in der Stadt Bad Wörishofen erhielt unser Vorstand auf Vermittlung von Bgm. Möckel einen kurzen Gesprächstermin. Dabei konnte unser Anliegen vorgetragen und ein Schriftstück übergeben werden.
Das blieb nicht ohne Wirkung.
Das Umweltministerium vertrat die Auffassung, dass bei der Standortsuche für eine Mülldeponie im Unterallgäu der besondere Charakter der Stadt Bad Wörishofen als Kneippheilbad umfassend gewürdigt werden muss. Zudem wurde die Angelegenheit dem Landesamt für Umweltschutz in Augsburg vorgelegt. Auch dieses stellte die Vorgaben bei der Deponiesuche in Frage.
Das war das vorläufige Ende der Standortsuche. Der Umweltausschuss des Kreistages beschloss, die Entscheidung über die neue Mülldeponie bis zur Jahrtausendwende zu vertagen.
So ist die Situation bis heute. Wir haben durch unseren Widerstand dazu beigetragen, dass keine neue Deponie im Landkreis notwendig wurde. Eigentlich ist es eine Win-Win Situation. Wir haben keine Deponie und der Kreis hat sich zig Millionen gespart.